Twiggy Die Revolution auf dünnen Beinen

Twiggy: Die Revolution auf dünnen Beinen – Wie ein Teenager die Mode für immer veränderte

In den konservativen Nachkriegsjahren, als weibliche Schönheit noch durch üppige Kurven und glamouröse Eleganz definiert wurde, erschien sie wie ein Wesen aus einer anderen Dimension – hauchdünn, mit riesigen Augen und einem Bubikopf, der die Modewelt in Aufruhr versetzte. Lesley Hornby, bekannt als Twiggy (wegen ihrer dünnen Figur, von Englisch „Twig“ = Zweig), war nicht einfach nur ein weiteres Mannequin – sie war die Verkörperung einer kulturellen Revolution, die Ausdruck einer Jugend fand, die sich von den Konventionen ihrer Eltern befreien wollte.
Die Geburt einer neuen Ära
Geboren am 19. September 1949 in einem Londoner Arbeiterviertel, war Twiggy das Gegenteil der glamourösen Filmstars, die vor ihr die Schönheitsideale geprägt hatten. Während Sophia Loren aus der mediterranen Sinnlichkeit Neapels kam und Grace Kelly die amerikanische Oberschicht repräsentierte, entstammte Twiggy der britischen Arbeiterklasse – ein Umstand, der ihre Authentizität und ihren Einfluss auf die Demokratisierung der Mode nur verstärkte.
Ihre Entdeckung liest sich wie ein Märchen der Moderne: Mit 16 Jahren ließ sie sich die Haare schneiden und färben im Londoner Salon von Leonard Lewis. Der Friseur war so begeistert von dem Ergebnis, dass er Fotos für die Fachzeitschrift „Hairdresser’s Journal“ machen ließ. Der Fotograf Barry Lategan erkannte sofort das Potenzial des ungewöhnlichen Mädchens mit den großen Augen und dem knabenhaften Körper. Diese Bilder fielen dem Modejournalisten Deirdre McSharry in die Hände, der sie 1966 zur „Face of the Year“ im Daily Express kürte.
Anders als Marilyn Monroe, die jahrelang an ihrem Image arbeiten musste, oder Audrey Hepburn, die zunächst als Schauspielerin Fuß fasste, wurde Twiggy über Nacht berühmt – ein Phänomen, das perfekt zum beschleunigten Rhythmus der 1960er Jahre passte.
Der Look – Eine ästhetische Revolution
Mit ihrer Bubikopf-Frisur und ihren androgynen Linien prägte sie das Beauty-Ideal einer ganzen Generation. Ihr Look war eine radikale Abkehr von allem, was zuvor als schön galt. Statt der vollen Brüste einer Sophia Loren oder der eleganten Kurven einer Grace Kelly bot Twiggy einen fast kindlichen Körper – 1,67 m groß und nur 41 kg schwer, mit einem Taillenumfang von 56 cm. Diese Proportionen, die heute kritisch betrachtet werden würden, waren damals ein Statement gegen die korsettierte Weiblichkeit früherer Jahrzehnte.
Besonders revolutionär war ihr Gesicht – mit den großen, von künstlichen Wimpern und dickem Lidstrich betonten Augen, den grafisch gezeichneten Wimpern unter den Augen und dem blassen Teint. Während Marilyn Monroe mit vollen, roten Lippen verführte und Audrey Hepburn mit natürlicher Eleganz bezauberte, setzte Twiggy auf einen fast puppenhaften Look, der gleichzeitig kindlich und avantgardistisch wirkte.
Ihre Frisur – der kurze, glatte Bubikopf mit Seitenscheitel – war ein frontaler Angriff auf das Ideal der weiblichen Lockenpracht. Und Twiggy’s Look kam an. Als Gegenentwurf zu Leinwandgöttinnen wie Brigitte Bardot und Sophia Loren inspirierte sie viele Frauen und Mädchen zu einem Kurzhaarschnitt – ein Schritt, der damals noch als radikal galt und eine Befreiung von stundenlangem Frisieren und Toupieren bedeutete.

Die Mode – Freiheit für den Körper
Twiggy war Teil einer Bewegung für freiere Mode: BHs wurden durch Camisoles ersetzt und Strumpfhalter durch Strümpfe. Diese Entwicklung spiegelte den größeren gesellschaftlichen Wandel wider – die sexuelle Revolution, die Emanzipationsbewegung und den Generationenkonflikt der 1960er Jahre. Mode wurde zum Ausdruck politischer und sozialer Haltungen, nicht mehr nur eine Frage von Eleganz und Anstand.
Ihre Garderobe brach mit allen Konventionen der Nachkriegsmode. Statt der strukturierten, taillenbetonten Kleider, die Dior für Grace Kelly entwarf, oder der verführerischen Roben, die Marilyn Monroe umhüllten, trug Twiggy A-Linien-Minikleider, die den Körper kaum berührten. Diese neue Silhouette betonte nicht mehr die weiblichen Kurven, sondern feierte eine neue Form von Freiheit – die Freiheit, sich zu bewegen, zu tanzen, zu rennen, ohne von einengender Kleidung behindert zu werden.
Besonders revolutionär war ihre Aneignung männlicher Kleidungsstücke. Twiggy trug dicke, gestreifte Krawatten mit Westen und Herrenhüten zu ihren Miniröcken, meist mit nackten Beinen, gelegentlich aber auch mit Netzstrumpfhosen. Diese Vermischung der Geschlechterrollen in der Kleidung war ein visuelles Manifest der sich wandelnden Gesellschaft – eine Welt, in der traditionelle Grenzen zwischen männlich und weiblich zunehmend in Frage gestellt wurden.
Die Swinging Sixties – London als Epizentrum
Twiggy war nicht nur ein Model – sie war die Verkörperung der „Swinging Sixties“, jener explosiven kulturellen Ära, in der London zum Epizentrum einer weltweiten Jugendrevolte wurde. Während Hollywood noch von den glamourösen Diven der Nachkriegszeit dominiert wurde, entstand in den Straßen Londons eine völlig neue Ästhetik – jung, frech, experimentell und demokratisch.
Anders als die unerreichbaren Filmgöttinnen früherer Jahrzehnte wirkte Twiggy erreichbar, fast wie das Mädchen von nebenan – wenn auch eines mit außergewöhnlichen Proportionen. Diese Zugänglichkeit war Teil ihrer revolutionären Wirkung. Sie verkörperte den Geist einer Generation, die nicht mehr zu den Stars aufschauen, sondern selbst zu Stars werden wollte.
Die Modeszene Londons, angeführt von Designern wie Mary Quant und Barbara Hulanicki (Biba), fand in Twiggy die perfekte Muse – ein lebendiges Manifest ihrer Vision von Mode als Ausdruck jugendlicher Rebellion. Während Paris noch die elegante Haute Couture zelebrierte, die Grace Kelly und Audrey Hepburn so perfekt verkörperten, feierte London die Straßenmode, die Demokratisierung des Stils und die Kraft der Jugendkultur.
Die Karriere – Mehr als nur ein hübsches Gesicht
Was Twiggy von vielen anderen Models unterschied, war ihre Fähigkeit, über die Grenzen der Modewelt hinauszuwachsen. Nach nur vier Jahren als Model – in denen sie auf den Covern aller wichtigen Modemagazine erschien und zum ersten Supermodel der Geschichte wurde – wandte sie sich neuen Herausforderungen zu.
1970 debütierte sie als Schauspielerin in Ken Russells Film „The Boy Friend“ und gewann für ihre Darstellung zwei Golden Globes. Es folgten weitere Film- und Theaterrollen, eine Karriere als Sängerin und später als Designerin und Fernsehpersönlichkeit. Diese Vielseitigkeit unterschied sie von früheren Modeikonen, die oft in einer bestimmten Rolle festgefroren blieben.
Anders als Marilyn Monroe, die verzweifelt versuchte, aus dem Korsett des Sexsymbols auszubrechen, oder Grace Kelly, die ihre Karriere für die Fürstenwürde aufgab, gelang es Twiggy, sich immer wieder neu zu erfinden, ohne ihre Authentizität zu verlieren. Diese Fähigkeit zur Transformation, ohne sich selbst untreu zu werden, macht sie bis heute zu einer faszinierenden Persönlichkeit.
Der Vergleich mit Zeitgenossinnen – Die verschiedenen Gesichter der Rebellion
Im Pantheon der Stilikonen der 1960er Jahre nimmt Twiggy eine einzigartige Position ein. Während Brigitte Bardot die sexuelle Befreiung durch offene Sinnlichkeit verkörperte und Jane Birkin einen bohèmehaften, französisch inspirierten Stil kultivierte, stand Twiggy für eine radikalere, fast futuristische Vision von Weiblichkeit.
Im Vergleich zu Bardot, deren üppige Kurven und wallendes Haar eine natürliche, erdverbundene Sinnlichkeit ausstrahlten, wirkte Twiggy fast außerirdisch – mit ihrem knabenhaften Körper, dem geometrischen Haarschnitt und dem grafischen Make-up. Bardot spielte mit traditionellen Vorstellungen von Weiblichkeit und dehnte deren Grenzen aus; Twiggy hingegen stellte diese Vorstellungen fundamental in Frage.
Jane Birkin, eine weitere Stilikone der Ära, kultivierte einen lässigen, französisch inspirierten Bohème-Chic, der Eleganz mit einer gewissen Nachlässigkeit verband. Im Gegensatz dazu war Twiggys Look präzise, fast architektonisch – jedes Detail, von den gezeichneten Wimpern bis zum exakt geschnittenen Bob, war sorgfältig komponiert. Diese Präzision verlieh ihrem rebellischen Look eine gewisse Disziplin, die ihn von der zufälligeren Rebellion anderer Ikonen unterschied.
Das Erbe für die Vintage-Kultur
Für Liebhaber der Vintage-Ästhetik bleibt Twiggy eine unerschöpfliche Inspirationsquelle. Ihre Looks – von den grafischen Miniröcken über die Op-Art-Muster bis zu den androgynen Anzügen – definieren bis heute unser Bild der 1960er Jahre. Sie verkörperte eine Ära, als Mode zum Ausdruck gesellschaftlichen Wandels wurde und nicht mehr nur der sozialen Konformität diente.
Besonders ihre frühen Fotostrecken, viele davon von Fotografen wie Barry Lategan, Bert Stern und Richard Avedon, bieten einen Einblick in die revolutionäre Ästhetik der Swinging Sixties. Die klaren Linien, die grafischen Muster und die spielerische Haltung dieser Bilder haben Generationen von Designern und Fotografen inspiriert.
Ihre Frisur und ihr Make-up werden regelmäßig auf den Laufstegen und in Editorials neu interpretiert – von den 1990er Jahren, als Kate Moss eine neue Version des dünnen, androgynen Models populär machte, bis zu den 2010er Jahren, als Cara Delevingne mit ihren markanten Augenbrauen und ihrem rebellischen Geist Vergleiche mit Twiggy hervorrief.
Die Langlebigkeit – Eine Ikone, die mit der Zeit geht
Anders als viele Ikonen ihrer Ära, die entweder früh starben wie Marilyn Monroe oder sich aus der Öffentlichkeit zurückzogen wie Brigitte Bardot, blieb Twiggy präsent und relevant. Heute, in ihren Siebzigern, ist sie immer noch als Designerin, Autorin und gelegentlich als Model aktiv – ein Beweis für ihre Fähigkeit, sich anzupassen und zu entwickeln, ohne ihre Essenz zu verlieren.
Diese Langlebigkeit unterscheidet sie von vielen Zeitgenossinnen und unterstreicht die Tatsache, dass ihr Einfluss nie nur auf ihrem Aussehen basierte, sondern auf einer tieferen kulturellen Bedeutung. Twiggy war nicht nur ein hübsches Gesicht – sie war die Verkörperung eines gesellschaftlichen Wandels, der bis heute nachwirkt.
Besonders bemerkenswert ist ihre Fähigkeit, mit Würde zu altern in einer Branche, die Jugend vergöttert. Anders als viele Prominente, die verzweifelt versuchen, ihr jugendliches Aussehen zu bewahren, hat Twiggy den natürlichen Alterungsprozess akzeptiert und dabei eine neue Art von Schönheit entdeckt – eine, die auf Erfahrung, Selbstakzeptanz und Authentizität basiert.
Die zeitlose Faszination
Was macht die anhaltende Faszination für Twiggy aus? Es ist die seltene Kombination aus revolutionärer Wirkung und persönlicher Authentizität. In einer Welt, die zunehmend von Oberflächlichkeit und Konformität geprägt ist, erinnert sie uns daran, dass wahre Stilikonen nicht Trends folgen, sondern sie setzen.
Anders als viele Ikonen ihrer Zeit, deren Appeal auf einer bestimmten kulturellen Epoche basierte, transcendiert Twiggys Anziehungskraft Generationen und kulturelle Grenzen. Ihre Bilder sprechen heute junge Frauen genauso an wie in den 1960er Jahren – ein Beweis für die universelle Qualität ihrer revolutionären Vision.
Für das „Art of Vintage“ Magazin verkörpert Twiggy die perfekte Verschmelzung von Mode und Zeitgeist, von ästhetischer Revolution und gesellschaftlichem Wandel. Sie erinnert uns daran, dass Mode am kraftvollsten ist, wenn sie nicht nur Kleidung, sondern Ideen verändert.
Ihr Erbe lebt weiter – in jedem kurzen Haarschnitt, in jedem Minirock und in jedem Moment, in dem Konventionen in Frage gestellt werden. In einer Welt, die oft von Nostalgie für vergangene Zeiten geprägt ist, erinnert uns Twiggy daran, dass die wahre Kraft der Vergangenheit in ihrer revolutionären Energie liegt, nicht in ihrer Vertrautheit.
Das dünne Mädchen aus Neasden hat uns gelehrt, dass Schönheit nicht in der Anpassung an bestehende Ideale liegt, sondern in der Kraft, neue zu schaffen. Wie sie selbst einmal sagte: „Die Sechziger waren eine Zeit, in der gewöhnliche Menschen zu außergewöhnlichen Menschen werden konnten.“ Diese demokratische Vision von Stil und Schönheit macht sie zur ewigen Ikone einer Ära, die die Welt für immer veränderte – nicht durch Glamour und Unerreichbarkeit, sondern durch Jugend, Energie und die radikale Idee, dass jeder zum Star werden kann.